Gemüt am Mittwoch: ein altes Foto – eine neue Geschichte. Heute: Martha mit goldenem Ball.
Martha hatte sich bislang geweigert, an Frösche zu glauben. Jetzt, da sie vom Himmel zu fallen schienen, wollte sie doch bitteschön auch einen. Einen mit Krönchen. Einen, der sie aus dem dörflichen Sumpf in ein Schloß geleiten sollte (eines mit Dienern, nicht mit Sanierungsbedarf), einen, der Türen aufhalten, in Mäntel helfen und geistreiche Unterhaltungen führen konnte – und nicht nur mit sich selbst. Kurzum, sie wollte einen, der vorzeigbar war unter den anderen Fröschen.
Aber mit den Fröschen war es so eine Sache. Welchen sollte sie wählen? Einen Raketenfrosch etwa? Klein und wendig war er, ja – aber machte es Spaß, so einen Frosch immer 12 Meter im Voraus zu wissen? 12 Meter sind 12 Meter, wenn man sie gehen muss. Vielleicht doch lieber einen Wendehalsfrosch? Wendehalsfrösche – und das bewunderte Martha an ihnen – überleben, indem sie sich per Hautsekret unsichtbar machen. Aber wer will schon einen dauerschwitzenden Frosch? Nichts gegen das Schwitzen – wenn es denn das richtige ist. Arbeit und Sport: ja. Angst: nein. Und so ein Wendehals musste doch Angst haben, in einem Termitennest. Nein, einen Angstfrosch wollte Martha nicht. Außerdem: wie sollte sie ihn finden, wo er doch unsichtbar war.
Es waren solche und ähnliche Überlegungen, denen Martha die Schuld gab, den Erfolg ihrer wackeren Suche zu hemmen. Aber im Grunde – und das wusste Martha – stellte sich ihrem Froschgesuch etwas ganz anderes in den Weg. Im Protokoll las man ja immer von Fröschen, die an linnengedeckten Tischen sitzen und Gabelhäppchen von güldenen Tellerchen einzunehmen wünschen. Martha aber mochte der Frösche Essgewohnheiten nicht leiden. Vor allem nicht die Inbrunst, mit welcher sie Geräusche von sich zu geben pflegen, wenn es ihnen schmeckt – und es schmeckt ihnen ja nahezu alles. Sie würgen, sie schlingen – diese Flinkheit der Zunge, die Klebrigkeit des Speichels … Jeder, der einen Frosch auch nur ein einziges Mal beim Schlucken beobachtet hat, wird Marthens natürlichen Ekel verstehen.
Nein, sie wollte keinen Frosch, um mit ihm am Kaminfeuer zu sitzen und Abend für Abend doch nur gehörig Cognac mit Eischnee zu trinken, damit sich ein Adamsapfel ertragen lässt, wie er sich hebt und senkt. Nein. Sie wollte einen Frosch, um ihn lebendigen Leibes in einem Ameisenhaufen zu vergraben. Neun Tage später würde sie sich mit den abgenagten Knöchelein (es durfte also gar kein Wendehalsfrosch sein) die Haut bestreichen. Ein alter Hauszauber war das, um demjenigen in Liebe zu verfallen, den man nach der Streicheleinheit sieht. Und in Liebe verfallen wollte Martha, oh, ja, sie wollte endlich einmal in Liebe verfallen – zu ihm oder einem anderen: gleichviel. So ließe vielleicht auch das Schmatzen und Stöhnen sich ertragen. (Doch nein, Frösche soll man nicht verachten, denn im Gegensatz zu uns vertrocknen sie nur und werden nicht von Würmern zerfressen.)
Und so steht sie am Weiher, die liebe Martha, und wirft ihren Ball, um die Frösche zu rufen, und denkt nicht daran, dass sie, wenn sie den ersten Frosch des Jahres im Wasser und nicht hüpfend im Grase sieht, Unglück haben und viel weinen wird. So ist das mit den Fröschen nämlich. Aber nein, so weit denkt Martha nicht. Stattdessen denkt sie „Warum hab ich dieses Kind nur mitgenommen“, annehmend, es läge am Plantschen der noch rosigen Beine, warum das hohle Gold nicht unter die Oberfläche gehen und Frösche anlocken mag, „aber vielleicht wird wenigstens aus dem Kind mal eine Kaiserin.“